Revidiertes Erbrecht tritt am 1. Januar 2023 in Kraft
Das revidierte Erbrecht tritt auf den 1. Januar 2023 in Kraft. Bereits errichtete letztwillige Verfügungen sind mit Blick auf das neue Recht zu überprüfen.
Revidiertes Erbrecht tritt am 1. Januar 2023 in Kraft
Urs Feller / Corinne Nobs
Revidiertes Erbrecht tritt am 1. Januar 2023 in Kraft
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 19. Mai 2021 entschieden, das revidierte Erbrecht auf den 1. Januar 2023 in Kraft zu setzen. So soll genügend Zeit zur Verfügung stehen, bereits bestehende letztwillige Verfügungen und Erbverträge zu überprüfen und gegebenenfalls an das neue Recht anzupassen.
Für bereits existierende sowie für zukünftige letztwillige Verfügungen und Erbverträge gilt, dass das im Zeitpunkt des Todes des Erblassers/der Erblasserin geltende Recht massgebend ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesetzliche Erbfolge eintritt, oder ob vor Inkrafttreten der Revision eine letztwillige Verfügung erstellt oder ein Erbvertrag abgeschlossen wurde.
Ziel der Erbrechtsrevision war es, dass die Veränderungen in der Gesellschaft im Erbrecht widerspiegelt werden. Im Zentrum der Revision stand die Erhöhung der Verfügungsfreiheit des Erblassers/der Erblasserin. Ausserdem erfolgte zur Verbesserung der Rechtssicherheit eine Klarstellung zu verschiedenen Themen, welche im geltenden Recht umstritten sind. Auf die wichtigsten Änderungen resp. Klarstellungen wird nachfolgend kurz eingegangen.
Die Reduktion der Pflichtteile
Die wichtigste Neuerung betrifft die Reduktion der Pflichtteile. Die gesetzlichen Erbteile in Art. 457 – 466 ZGB bleiben jedoch unverändert. Das heisst, ohne individuelle Planung ändert sich gegenüber der geltenden Ordnung nichts. Nur der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen und die Höhe der Pflichtteile erfahren eine Änderung.
Neu sind die Eltern des Erblassers/der Erblasserin, dort wo diese überhaupt ein gesetzliches Erbrecht haben, nicht mehr pflichtteilsgeschützt. Zudem reduziert sich der Pflichtteil der Nachkommen von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Art. 470 Abs. 1 und Art. 471 nZGB). Die Nachkommen des Erblassers/der Erblasserin haben somit neu einen Pflichtteilsanspruch auf einen Viertel des Nachlasses ihres verstorbenen Elternteils, wenn dieser verheiratet ist, respektive auf die Hälfte, wenn dieser nicht verheiratet ist. Mehrere Nachkommen haben diesen Anteil untereinander zu teilen.
Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten bzw. der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners beträgt wie bis anhin die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Art. 471 nZGB). Bei der Begünstigung des überlebenden Ehegatten, der überlebenden eingetragenen Partnerin oder dem überlebenden eingetragenen Partner mit einer Nutzniessung wird die verfügbare Quote an die reduzierten Pflichtteile angepasst. Sie beträgt neu die Hälfte statt eines Viertels des Nachlasses (Art. 473 Abs. 2 nZGB).
Erblasser und Erblasserinnen können somit künftig über einen grösseren Teil ihres Nachlasses frei verfügen. Die frei verfügbare Quote beträgt unter dem neuen Recht bei Vorhandensein von Pflichtteilserben mindestens die Hälfte. Das ermöglicht eine zusätzliche Begünstigung überlebender Ehegatten bzw. eingetragener Partnerinnen oder eingetragener Partner, einzelner Nachkommen oder auch nicht ehelicher Partnerinnen oder Partner. Auch wohltätige Zuwendungen sind nun im erhöhten Umfang möglich.
So ermöglichen es die neuen Verfügungsfreiheiten dem Erblasser/der Erblasserin auch, sein/ihr Vermögen sehr ungleich innerhalb der Familie zu verteilen, was unter anderem die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen erleichtern kann. Setzt beispielsweise ein verwitweter Erblasser seine zwei Töchter zugunsten seines Sohnes auf den Pflichtteil von je einem Sechstel, erhält der Sohn mit vier Sechsteln deutlich mehr als die Töchter.
Wie eingangs erwähnt, ist das im Zeitpunkt des Todes des Erblassers/der Erblasserin geltende Recht massgebend. Bereits errichtete letztwillige Verfügungen und Erbverträge sind daher mit Blick auf das neue Recht zu überprüfen. Falls nötig und möglich, ist zu Lebzeiten Klarheit zu schaffen.
Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt das nachfolgende Beispiel auf: Soll ein Nachkomme möglichst wenig und eine nicht eheliche Lebenspartnerin möglichst viel erhalten, ist in der letztwilligen Verfügung ein dynamischer Verweis auf den Pflichtteil vorzusehen, so dass die nicht eheliche Lebenspartnerin eine grösstmögliche Zuwendung erhält für den Fall, dass der Erblasser unter dem neuen Recht verstirbt. Erachtet der Erblasser jedoch die derzeitige Pflichtteilsquote des Nachkommen von drei Vierteln und die Begünstigung der nicht ehelichen Lebenspartnerin mit einem Viertel als gerade richtig, muss dieser Wille im Hinblick auf das neue Recht klar aus der letztwilligen Verfügung hervorgehen.
Die erb- und ehegüterrechtlichen Folgen eines hängigen Scheidungsverfahrens
Gemäss geltendem Recht haben Ehegatten so lange gegenseitige erb- und pflichtteilsrechtliche Ansprüche, bis ein formell rechtskräftiges Scheidungsurteil vorliegt (Art. 120 Abs. 2 ZGB). Unter dem neuen Recht verliert der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteilsanspruch, nicht aber sein gesetzliches Erbrecht, bereits dann, wenn beim Tod eines Ehegatten ein Scheidungsverfahren hängig ist und (i) dieses auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt wurde (Art. 472 Abs. 1 Ziff. 1 nZGB), oder (ii) die Ehegatten seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt haben (Art. 472 Abs. 1 Ziff. 2 nZGB). Diese Bestimmung gilt bei Verfahren zu Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft sinngemäss (Art. 472 Abs. 3 nZGB). Sobald also ein Scheidungsverfahren im Sinne von Art. 472 nZGB hängig ist, kann jeder Ehegatte dem anderen Ehegatten durch letztwillige Verfügung den Pflichtteil entziehen.
Unter der gleichen Voraussetzung eines hängigen Scheidungsverfahrens entfallen von Gesetzes wegen zudem auch die übergesetzlichen Begünstigungen bei der Vorschlagsbeteiligung beim ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung (Art. 217 Abs. 2 nZGB) und bei der Gesamtzuweisung bei Vorliegen einer Gütergemeinschaft (Art. 241 Abs. 4 nZGB).
Die erbrechtliche Behandlung der überhälftigen Vorschlagszuweisung
Bisher war in der Lehre umstritten, ob die überhälftige Vorschlagszuteilung durch Ehevertrag als Zuwendung unter Lebenden oder als Zuwendung von Todes wegen zu qualifizieren ist. Die Beantwortung dieser Frage hat aber Auswirkungen auf die Berechnung der Pflichtteile und auf die Reihenfolge der Herabsetzungen, da die Zuwendungen unter Lebenden nach den Verfügungen von Todes wegen herabgesetzt werden.
Die erbrechtliche Behandlung der überhälftigen Vorschlagszuweisung wird im Gesetz neu ausdrücklich geregelt. So wird die überhälftige Vorschlagszuweisung bei der Berechnung der Pflichtteile des überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partners, der gemeinsamen Kinder und deren Nachkommen nicht hinzugerechnet (Art. 216 Abs. 2 nZGB). Die Pflichtteilsansprüche der nicht-gemeinsamen Kinder und deren Nachkommen darf dadurch aber weiterhin nicht beeinträchtigt werden (Art. 216 Abs. 3 nZGB). Dafür kann die überhälftige Vorschlagszuweisung aber nach dem neuen Recht vorrangig herabgesetzt werden (Art. 532 Abs. 2 nZGB).
Erbverträge: Von einer Schenkungsfreiheit zum Schenkungsverbot
Nach der geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung gilt, dass der Erblasser auch nach Abschluss eines Erbvertrags grundsätzlich zu Lebzeiten frei bleibt, über sein Vermögen mittels Schenkung zu verfügen (Art. 494 Abs. 2 ZGB).
Neu kann der durch Erbvertrag eingesetzte Erbe Zuwendungen unter Lebenden, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, grundsätzlich anfechten, wenn seine erbvertraglichen Ansprüche dadurch geschmälert und lebzeitige Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden (Art. 494 Abs. 3 nZGB).
Möchte der Erblasser/die Erblasserin über sein/ihr Vermögen zu Lebzeiten ganz oder teilweise weiterhin frei verfügen können, sind entsprechende Vorbehalte im Erbvertrag vorzusehen.
Klarstellungen bei den Leistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge
Gemäss der bisherigen Praxis sieht das neue Erbrecht vor, dass die gebundene Selbstvorsorge nicht zur Erbmasse gehört. Dies wird in Art. 82 Abs. 4 BVG verankert. Begünstigte aus einer anerkannten Vorsorgeform haben einen eigenen Anspruch auf die ihnen daraus zugewiesenen Leistungen. Die Vorsorgeeinrichtungen zahlen die Gelder den Begünstigten direkt aus.
Trotz dieser Bestimmung werden Ansprüche aus der Säule 3a der Pflichtteilsberechnungsmasse hinzugerechnet (Art. 476 nZGB). Diese Ansprüche unterliegen der Herabsetzungsklage (Art. 529 nZGB).
Aussicht zur erbrechtlichen Unternehmensnachfolge
Wie erwähnt, soll durch die Pflichtteilsverkleinerung und der damit vergrösserten Verfügungsfreiheit des Erblassers/der Erblasserin auch die familieninterne Unternehmensnachfolge erleichtert werden.
Im Vernehmlassungsverfahren zum revidierten Erbrecht wurde die Einführung zusätzlicher Massnahmen zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge gefordert. Dementsprechend entschied sich der Bundesrat in seiner Botschaft vom 29. August 2018, zusätzlich einen sich spezifisch mit der Unternehmensnachfolge befassenden Vorentwurf in die Vernehmlassung zu schicken.
Der Vorentwurf zur Unternehmensnachfolge vom 10. April 2019 schlägt insbesondere vor, dass der Nachfolger/die Nachfolgerin unter gewissen Voraussetzung für die Tilgung der erb- und güterrechtlichen Forderungen der weichenden Erben einen Zahlungsaufschub verlangen kann. Er legt zudem den massgeblichen Anrechnungszeitpunkt bei einer lebzeitigen Übertragung des Unternehmens fest. Der Entwurf sieht weiter vor, dass die weichenden Erben die Übernahme ihres Pflichtteils in Form von Minderheitsanteilen verweigern dürfen.
Die vorgeschlagenen Massnahmen wurden in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst. Es wird sich zeigen, welche Bestimmungen in der Zukunft in Kraft gesetzt werden.
Wenn Sie Fragen im Zusammenhang mit dem revidierten Erbrecht haben oder wissen möchten, wie sich die Änderungen auf Ihre Nachlassplanung auswirken, berät Sie unser Private Clients Team gerne jederzeit.