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Label: Highlight
Thema: Dispute Resolution , Litigation
Zeitung: NZZ
Lesezeit: 4 Min
23.12.2022

Wie Unternehmen gegen Staaten klagen

Zur Durchsetzung von Forderungen gegen Staaten braucht es einen langen Atem.

Die Schweiz gehört zu den zehn Ländern mit dem weltweit höchsten Anteil an Direktinvestitionen im Ausland. Anlagen werden nur nach sorgfältiger Prüfung getätigt und hängen auch davon ab, ob sie ausreichenden Rechtsschutz geniessen. Da sich private Investoren nicht auf die lokalen Gerichte verlassen wollen, gibt es staatliche Investitionsschutzabkommen (ISA), welche vorsehen, dass allfällige Streitigkeiten über Investitionen von einem unabhängigen Schiedsgericht wie dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) beurteilt werden. Für Investoren und ihren Schutz ist deshalb entscheidend, dass mit den entsprechenden Ländern solche ISA bestehen. Die Schweiz hat über 120 ISA abgeschlossen.

In manchen Fällen kann es trotzdem zu Konflikten kommen, zum Beispiel wenn ein Staat die Vermögenswerte eines Unternehmens enteignet oder sich nicht an Vereinbarungen und Zusicherungen hält. Findet sich keine bilaterale Lösung, wird das Unternehmen versuchen, finanzielle Ansprüche in einem gerichtlichen oder Schiedsverfahren gegen den Staat geltend zu machen.

In der aktuellen geopolitischen Lage muss mit neuen Konflikten bezüglich Investitionen gerechnet werden. Vor allem Russland wird wohl vermehrt als Gegenpartei auftreten, wie dies unter anderem 2014 beim Rekordprozess Yukos mit einem Urteil über 50 Milliarden US Dollar der Fall war. Auch strukturschwache Länder mit grossen Bodenschätzen wie Libyen oder Venezuela sind regelmässig in Streitigkeiten über Investitionen involviert.

Staaten am längeren Hebel

Da Staaten in der Praxis einem Schiedsspruch oder Gerichtsurteil im eigenen Land nicht immer freiwillig Folge leisten, müssen die Urteile in anderen Ländern anerkannt und vollstreckt werden. Bei ICSID-Urteilen geschieht dies gemäss dem ICSID-Übereinkommen, welches die Anerkennung und Durchsetzung von Urteilen unter erleichterten Bedingungen ermöglicht. Bei anderen Schiedsurteilen erfolgt dies in der Regel über das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche.

Bei der Durchsetzung von Urteilen in Ländern, in welchen der Konfliktstaat über grosse Auslandsvermögen wie Devisen, Beteiligungen oder Immobilien verfügt, müssen verschiedene Hürden überwunden werden. Zur Auffindung von Vermögenswerten braucht es zuerst die Unterstützung durch hochspezialisierte "Asset Tracing"-Firmen, welche mit ihren Recherchen die nicht öffentlich bekannten Vermögenswerte lokalisieren. Ob sich diese anschliessend zur Vollstreckung eignen, hängt von der örtlichen Gesetzgebung ab. Hoheitlich genutzte Vermögenswerte – wie etwa Konsulatsimmobilien – sind in vielen Ländern aufgrund der Staatenimmunität vor einem Zugriff von Gläubigern geschützt. Diese Immunität stellt sicher, dass Staaten jederzeit über die notwendigen Ressourcen verfügen, um ihre essenziellen öffentlichen Funktionen wahrnehmen zu können. Ob auch für wirtschaftliche Zwecke genutzte Vermögenswerte durch Immunität geschützt sind, hängt davon ab, in welchem Umfang die Staatenimmunität vor Ort geregelt ist. Nur Vermögenswerte, welche nicht durch Immunität geschützt sind – zum Beispiel Firmenbeteiligungen –, können Gegenstand eines Vollstreckungsverfahrens sein.

Bedeutende Vermögenswerte werden oftmals nicht vom Staat selber gehalten, sondern von staatlich kontrollierten Unternehmen. Da diese aber selbst nicht Partei des Gerichtsverfahrens waren und somit nicht als Schuldner gelten, können deren Vermögenswerte nicht gepfändet werden. Ausnahmsweise kann trotzdem gegen solche Vermögenswerte vollstreckt werden. Dazu braucht es den Nachweis, dass der Staat das Unternehmen so umfassend beherrscht, dass es sich um dieselbe Rechtspersönlichkeit handelt, das sogenannte Alter Ego. Ein umfassendes Beweisverfahren wird dazu nötig. Erfahrungsgemäss sind Gerichte in den USA offener für eine Alter-Ego-Argumentation als Gerichte in Europa und Asien.

Geopolitik bremst Verfahren

Nicht zuletzt müssen auch politische Faktoren berücksichtigt werden. In einigen Ländern herrscht Unklarheit darüber, welche Regierung an der Macht ist. Dies führt im Vollstreckungsverfahren zu Zuständigkeitsproblemen, nur schon bei der Zustellung von Dokumenten oder bei der Vertretung im Prozess.

Grosse Wirtschaftsmächte versuchen ihre Interessen über staatliche Sanktionen durchzusetzen, in den USA durch das Office of Foreign Assets Control (OFAC). Damit werden Vermögenswerte von anderen Staaten und staatlich kontrollierten Unternehmen blockiert, was eine Vollstreckung für Gläubiger erschwert. Im Zusammenhang mit dem Irak-Kuwait Konflikt waren etwa Ölerzeugnisse aus dem Irak durch das OFAC vor Vollstreckung geschützt, um den Wiederaufbau des Landes nicht zu gefährden. Gläubigerinnen können damit ihre Urteile nicht umfassend durchsetzen, ausser sie bekommen eine Ausnahmebewilligung. Deren Erteilung ist in der Regel mit sehr viel Aufwand verbunden und erfordert ein koordiniertes Vorgehen von Anwälten und Lobbyisten.

Im Ergebnis ist die Durchsetzung von Urteilen gegenüber Staaten äusserst komplex und aufwendig. Für unerfahrene Gläubigerinnen bietet sich deshalb eine Zusammenarbeit mit Anlagevehikeln an, welche sich auf dem Gebiet der Vollstreckung von Urteilen spezialisiert, und viel Erfahrung und Durchhaltevermögen haben. Ein wichtiger Vorteil beim Vorgehen gegen Staaten ist, dass diese nicht einfach von der Bildfläche verschwinden können, indem sie zum Beispiel in Konkurs gehen. Mit einem langen Atem kann ein Prozess der Vollstreckung deshalb trotz aller Hindernisse erfolgreich zum Abschluss gebracht werden.