Offene Fragen im Zusammenhang mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS
Am Abend des 19. März 2023 hat der Bundesrat in Begleitung von Vertretern der Schweizerischen Nationalbank und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) sowie der jeweiligen Verwaltungsratspräsidenten der UBS und der Credit Suisse die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS in Form einer statutarischen Fusion der beiden Unternehmen mit einem Fusionsverhältnis von 22,48 Credit Suisse-Aktien zu 1 UBS-Aktie angekündigt.
Der Bundesrat hat zwei wichtige dringlichkeitsrechtliche Entscheide (Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV) getroffen, die vom geltenden Bundesrecht abweichen. Der erste, breit publizierte, ist die Aufhebung des Zustimmungsrechts der Aktionäre von Credit Suisse und UBS. Die zweite, zunächst unbemerkt gebliebene Massnahme ist die vollständige Abschreibung des zusätzlichen Kernkapitals (AT1) der Credit Suisse in der Höhe von 16 Milliarden Schweizer Franken.
Diese Entscheide sowie weitere Massnahmen zur Stabilisierung der Märkte wurden am 20. März 2023 in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts in einer so genannten Verordnung über zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen und die Übernahme von Ausfallgarantien des Bundes für Liquiditätshilfe-Darlehen der Schweizerischen Nationalbank an systemrelevante Banken (nachfolgend CS-UBS-Verordnung) publiziert und ein erläuternder Bericht wurde vom Bundesrat veröffentlicht.
Offene Fragen im Zusammenhang mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS
Abschreibung des zusätzlichen Kernkapitals (AT1)
Gemäss der Eigenmittelverordnung setzt sich das berücksichtigte Kapital aus Kernkapital und Ergänzungskapital zusammen. Das Kernkapital besteht aus dem harten Kernkapital (Common Equity Tier 1, CET1) und dem zusätzlichen Kernkapital (Additional Tier 1, AT1). Bei Auftreten eines Anwendungsfalls werden die Verluste von den Kapitalbestandteilen nach folgenden Grundsätzen aufgefangen: (i) Verluste werden vom harten Kernkapital (Common Equity Tier 1) aufgefangen, bevor sie das zusätzliche Kernkapital belasten; und (ii) Verluste werden vom zusätzlichen Kernkapital aufgefangen, bevor sie dem Ergänzungskapital belastet werden.
Gemäss dem Wortlaut des Prospekts der AT1-Instrumente der Credit Suisse werden die Umwandlungs- oder Abschreibungsmechanismen für diese Instrumente durch das Eintreten eines sog. "Viability Events" ausgelöst. Ein "Viability Event" ist entweder: (i) die Aufsichtsbehörde hat der Credit Suisse Group (CSG) mitgeteilt, dass sie festgestellt hat, dass eine Abschreibung der Schuldverschreibungen zusammen mit der Umwandlung oder Wertberichtigung/Abschreibung der Ansprüche der Inhaber in Bezug auf alle anderen Going Concern Kapitalinstrumente, Tier 1 Instrumente und Tier 2 Instrumente, die gemäss ihren Bedingungen oder kraft Gesetzes, zu diesem Zeitpunkt in Eigenkapital umgewandelt oder abgeschrieben werden können, eine wesentliche Voraussetzung ist, um zu verhindern, dass die CSG insolvent oder bankrott wird oder nicht in der Lage ist, einen wesentlichen Teil ihrer Schulden bei Fälligkeit zu begleichen oder ihre Geschäftstätigkeit einzustellen, weil die üblichen Massnahmen zur Verbesserung der Kapitalausstattung der CSG zu diesem Zeitpunkt unzureichend oder nicht durchführbar sind; oder (ii) weil übliche Massnahmen zur Verbesserung der Kapitaladäquanz der CSG zu diesem Zeitpunkt unzureichend oder nicht durchführbar sind, hat die CSG eine unwiderrufliche Zusage für eine ausserordentliche Unterstützung durch die öffentliche Hand erhalten (die über die üblichen Transaktionen und Vereinbarungen hinausgeht), die eine Verbesserung der Kapitaladäquanz der CSG bewirkt hat oder in Kürze bewirken wird und ohne die die CSG nach Auffassung der Aufsichtsbehörde insolvent oder bankrott geworden wäre oder einen wesentlichen Teil ihrer Schulden bei Fälligkeit nicht hätte begleichen können oder nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Geschäfte weiterzuführen. Damit sind die Voraussetzungen für die Abschreibung der AT1-Instrumente der Credit Suisse erfüllt.
In Artikel 5a der CS-UBS-Verordnung ermächtigte der Bundesrat die FINMA, die Credit Suisse (sowohl die Bank als auch die Holdinggesellschaft) zur Abschreibung des zusätzlichen Kernkapitals anzuweisen. Die FINMA teilte mit, dass sie von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und die vollständige Abschreibung von 16 Milliarden Franken des zusätzlichen Kernkapitals der Credit Suisse (hauptsächlich sog. "bedingte Pflichtwandelanleihen" oder "CoCo-Bonds") angeordnet habe.
In seinem erläuternden Bericht hält der Bundesrat Folgendes fest: "Die Bewilligung des Verpflichtungskredits zur Gewährung eines Liquiditätshilfe-Darlehens mit Ausfallgarantie soll dazu dienen, existenzbedrohende Folgen auf die Kapitalausstattung der SIB abzuwenden und somit die Fortführung der Geschäftstätigkeit der Darlehensnehmerin und der Finanzgruppe in massgeblichem Umfang zu unterstützen. Folglich stellen der dafür erforderliche Verpflichtungskredit und die Gewährung der Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie eine entscheidende staatliche Unterstützungsmassnahme zur Abwendung einer Insolvenz und damit eine staatliche Hilfeleistung zugunsten der betroffenen Bank dar. Vor diesem Hintergrund kann die FINMA ab Zeitpunkt der Bewilligung über den Verpflichtungskredit die Abschreibung von zusätzlichem Kernkapital anordnen. Anordnungsadressatin können dabei die Darlehensnehmerin und die Finanzgruppe sein. Es liegt im Ermessen der FINMA, die Anordnungsadressatin zu definieren. Eine Anordnung nach Artikel 5a kann auch mit Blick auf ein Übernahme- beziehungsweise Verkaufsszenario erfolgen, wenn ohne diese Übernahme eine Insolvenz unmittelbar erfolgt wäre."
Der Bundesrat geht in seinem erläuternden Bericht also nicht darauf ein, weshalb er die FINMA ermächtigt, von den in der Eigenmittelverordnung festgelegten Regeln abzuweichen. Sowohl die gewählte Lösung als auch die fehlende Erläuterung zu diesem Punkt werfen viele Fragen auf. In ihrer Medienmitteilung gibt die FINMA keine weiteren Erklärungen ab ("Die ausserordentliche staatliche Unterstützung löst eine vollständige Abschreibung des Nennwerts aller AT1-Anleihen der Credit Suisse im Umfang von rund sechzehn Milliarden Franken und damit eine Steigerung des Kernkapitals aus").
Da sich der Bundesrat auf Notrecht stützt, ist seine Verordnung sofort anwendbar (zur Information: Auf dieser Verfassungsgrundlage wurden auch während der Covid-Pandemie restriktive Massnahmen ergriffen). Zudem kann eine solche Verordnung nur im konkreten Fall und nicht abstrakt angefochten werden. Für den Erlass der CS-UBS-Verordnung stützt sich der Bundesrat auf zwei Artikel der Schweizerischen Bundesverfassung: Art. 184 (Beziehungen zum Ausland) und Art. 185 (Äussere und innere Sicherheit). Wichtig ist dabei, dass die Massnahmen, die der Bundesrat in Anwendung dieser Artikel ergreift, befristet sein müssen. Die CS-UBS-Verordnung ist somit auf 6 Monate befristet, und das Schweizer Parlament muss die Massnahmen innerhalb der oben genannten Frist bestätigen (oder nicht).
Interessant ist auch, dass die Schweiz über 120 bilaterale Investitionsförderungs- und -schutzabkommen (ISA) unterzeichnet hat. Ziel der ISAs ist der völkerrechtliche Schutz vor nichtkommerziellen Risiken, die mit Investitionen von Schweizer Staatsangehörigen und Unternehmen mit Sitz in der Schweiz in den Partnerländern verbunden sind – und umgekehrt mit Investitionen von Staatsangehörigen und Unternehmen der Partnerländer in der Schweiz. Zu diesen Risiken gehören die staatliche Diskriminierung ausländischer Investoren zugunsten einheimischer Investoren, unrechtmässige Enteignungen oder ungerechtfertigte Beschränkungen des Zahlungs- und Kapitalverkehrs. Hinzu kommt die Verpflichtung der Vertragsstaaten, Investitionen von Investoren im jeweils anderen Vertragsstaat "fair und gerecht" zu behandeln. Darüber hinaus sind die Vertragsländer verpflichtet, staatliche Zusagen gegenüber bestimmten Investoren in Bezug auf entsprechende Investitionen einzuhalten.
Diese Aspekte sollten also ebenfalls analysiert werden, um zu wissen, ob ein ausländischer Investor im Zusammenhang mit den in der CS-UBS-Verordnung vorgesehenen Ausnahmen Ansprüche gegen die Schweiz geltend machen könnte.
Unterdrückung der Aktionärsrechte
Eine weitere vielbeachtete Massnahme der CS-UBS-Verordnung ist die Abschaffung der Mitwirkungsrechte der Aktionäre von Credit Suisse und UBS, die im Gegensatz zum geltenden positiven Recht (d.h. dem schweizerischen Fusionsgesetz) die Fusion der beiden juristischen Personen weder genehmigen noch ablehnen können.
Der Bundesrat hat in seiner CS-UBS-Verordnung die Zustimmung der Aktionäre ausgeschlossen und auch die Anwendung der Artikel 11 (Erstellung eines Zwischenabschlusses), 14 (Veröffentlichung eines Fusionsberichts), 15 (Prüfung des Fusionsvertrags/Fusionsberichts) und 16 (Einsichtsrecht der Aktionäre) des Fusionsgesetzes ausgeschlossen, in diesen Fällen, soweit die Fusionsvorgänge mit Genehmigung der FINMA abgeschlossen werden. Darüber hinaus kann mit Zustimmung der FINMA auf weitere transaktionsbedingte Anforderungen des Fusionsgesetzes verzichtet werden, sofern die besonderen Umstände dies erfordern; in solchen Fällen konsultiert die FINMA vorgängig die zuständigen kantonalen Handelsregisterbehörden sowie das Eidgenössische Amt für das Handelsregister.
Der erläuternde Bericht des Bundesrates hält lediglich fest, dass besondere Umstände insbesondere im Falle einer zeitlicher Dringlichkeit und der Notwendigkeit einer raschen Übernahme zur Abwendung einer erheblichen Schädigung der Schweizer Volkswirtschaft und des schweizerischen Finanzsystems vorliegen.
Auffallend ist jedoch der fehlende Ausschluss von Artikel 105 des Fusionsgesetzes. Gemäss diesem Artikel können Aktionäre innerhalb von zwei Monaten nach Veröffentlichung des Fusionsbeschlusses im Schweizerischen Handelsamtsblatt eine "angemessene" Entschädigung einklagen, wenn sie durch die Fusion benachteiligt werden. Das Urteil in einer solchen Klage gilt nicht nur für den Aktionär, der die Klage eingereicht hat, sondern für alle Aktionäre, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, unabhängig davon, ob sie sich am Rechtsstreit beteiligt haben.
Es ist daher nicht auszuschliessen, dass das Fusionsverhältnis von 22,48 Credit Suisse-Aktien für eine UBS-Aktie von Credit Suisse-Aktionären (wie auch von UBS-Aktionären) gerichtlich angefochten werden kann.
Wir werden die Situation auf jeden Fall weiter verfolgen und stehen für ergänzende Auskünfte gerne zur Verfügung.