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Thema: Banking & Finance
Zeitung: NZZ
Lesezeit: 4 Min
13.04.2023

Gefragt sind Instrumente gegen einen Bank-Run

Ein amerikanischer Rechtsprofessor macht einen Vorschlag, wie ein panikartiger Abzug von Bankeinlagen gebremst werden könnte

Mit dem Fall der Credit Suisse tauchte ein neuer Begriff in der Öffentlichkeit auf – «Bank-Run». Der Begriff bezeichnet das, was passiert, wenn viele Bankkunden oder Finanzinstitute ihre Einlagen gleichzeitig abziehen, weil sie um die Zahlungsfähigkeit einer Bank fürchten. Je grösser der Geldabfluss ist, desto wahrscheinlicher wird ein Zahlungsausfall, was wiederum weitere Kunden in Panik versetzt und veranlasst, ihre Konti zu schliessen. Ein Schneeballeffekt, der zur Lawine wird. Im Extremfall reicht die Liquidität der Bank nicht aus, um die Abflüsse zu decken. In der Woche vor dem 18. März wurden bei der Credit Suisse angeblich rund 10 Milliarden Schweizerfranken pro Tag abgezogen.

Als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 geschaffen, versucht die derzeitige Gesetzgebung zu verhindern, dass eine Bank mit zu wenig Kapital wirtschaftet; etwa weil sie mehr Risiken eingegangen ist als erwartet. Wie sich gezeigt hat, reichen diese Regeln nicht aus, um einen Bank-Run aufgrund einer Panik unter den Einlegern zu bewältigen. Die Liquidität der Bank bleibt gefährdet.

Es existieren vertragliche Instrumente, die einen Bank-Run abschwächen können. Diese werden jedoch kaum genutzt. Festgeldanlagen, sogenannte Time-Deposits, sind verzinsliche Bankkonti mit einem im Voraus festgelegten Fälligkeitsdatum. Festgelder werden im Allgemeinen etwas höher verzinst als ein normales Konto. Der Einleger muss sein Geld jedoch für die festgelegte Laufzeit auf dem Konto belassen, um diesen Zins zu erhalten. Je länger die Laufzeit ist, desto höher ist die Zinszahlung. Demgegenüber wird ein Einzahler, der sein Guthaben vorzeitig abhebt, bestraft.

Einleger können sich auch absichern, indem sie ihr Vermögen in Wertpapieren statt in Bargeld anlegen. In diesem Fall werden die Wertpapiere getrennt vom Vermögen der Bank behandelt. Doch löst dies noch nicht die Probleme der Bank, welche für ihre Geschäftstätigkeit auf Liquidität angewiesen ist.

Gefahr von Fehlanreizen

Ben Bernanke, Douglas Diamond und Philip Dybvig erhielten letztes Jahr den Nobelpreis für ihre Forschung zu Banken- und Finanzkrisen. Sie zeigen darin zwei weitere Instrumente auf, die zur Vermeidung eines Bank-Runs dienen können: die Einlagensicherung und den Lender of Last Resort. Beide Massnahmen führen aber zu Fehlanreizen, indem sie eine Bank, die um ihren Schutz weiss, dazu verleiten, übermässige Risiken einzugehen. Die erfolglosen Versuche der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zeigen zudem die Grenzen des Lender of Last Resort auf: Die Bereitstellung von Liquidität für die Credit Suisse durch die SNB half nicht, auch wenn die SNB willens war, auf entsprechende Sicherheiten zu verzichten. In einer solchen Situation verstärken solche Massnahmen, die auf die Schwierigkeiten einer Bank hindeuten, zusätzlich den Vertrauensverlust ihrer Einleger.

Jeffrey Gordon, Professor an der Columbia-Universität, schlägt eine andere Lösung vor, um dem entgegenzuwirken. Hiernach sollte eine Bank drei Arten von Einlagenkonti anbieten: Das erste ist ein Privatkundenkonto, es bietet tägliche Liquidität, jedoch mit einer Bezugslimite. Das zweite, ein Geschäftskonto, wird von einem Unternehmen zur Deckung seines regulären Transaktionsbedarfs genutzt, wie für die Gehaltsabrechnung oder Zahlungen an Lieferanten. Dieses Konto sollte ebenfalls tägliche Liquidität bieten, aber ohne Obergrenze. Das dritte ist ein sogenanntes Lagerkonto für Privatpersonen oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts, für Betriebsgesellschaften und deren nichtbetriebliche Bargeldbestände und für Institutionen, die Gelder für eventuelle Investitionen oder Ausschüttungen halten.

Bezug mit Abschlag

Die Gelder auf diesem Lagerkonto werden als Festgeld mit einer bestimmten Laufzeit und einer angemessenen Verzinsung gehalten. Die Einleger haben das Recht auf sofortigen Bezug, allerdings mit einem Abschlag für die vorzeitige Rückzahlung. Darüber hinaus müssen diese Einleger in angemessener Höhe Aktien der Bank besitzen. Ziel ist es, dass ein erheblicher Teil der Aktien der Bank im Besitz der Einleger ist, eine Art gegenseitiges Eigentum. Entscheidend ist, dass, wer vom Recht auf vorzeitige Rückzahlung Gebrauch macht, zugleich seine Aktien der Bank verliert. Damit vergrössert sich der relative Anteil der verbleibenden Aktionäre am Kapital. Diese Aussicht auf Wertsteigerung sollte also deren Anreiz erhöhen, nicht in Panik zu verfallen und ihre Einlagen stehenzulassen.

Die Kehrseite von Gordons Entwurf besteht darin, dass die Verhinderung eines Bank-Runs wieder zulasten der Einleger geht. Ihre Liquidität wird deutlich reduziert, und sie sind gleichzeitig gezwungen, Anteile an ihrer Bank zu halten und ein kapitalmässiges Risiko einzugehen. Eine solche Lösung führt zu einer fundamentalen Veränderung des Verhältnisses zwischen Einleger und Bankinstitut. Offen bleibt auch, wie bei der Einführung einer solchen Lösung verhindert werden kann, dass Einleger schlicht in ein System abwandern, welches keine solche Lösung kennt.

Auffallend ist, dass die vorgeschlagenen Lösungen gar nicht darauf abzielen, einen Vertrauensverlust unter den Einlegern zu beheben, sondern nur darauf, den folgenden panikartigen Abzug ihrer Einlagen zu bremsen. Angesichts der Schaffung eines Bankenkolosses, von dem einige glauben, er sei «too big to fail» [oder: too big to bail], sollten jedoch auch Gordons und weitere Vorschläge ernsthaft diskutiert werden.