Die Globalisierung erreicht das Zürcher Handelsgericht
Bald können in Zürich internationale Zivilverfahren in englischer Sprache geführt werden.
Die Globalisierung erreicht das Zürcher Handelsgericht
Seit vielen Jahren geniesst die Schweiz einen ausgezeichneten Ruf als Standort für die Erledigung internationaler zivilrechtlicher Streitigkeiten. Diese werden häufig in Form von Schiedsverfahren abgewickelt – Genf wie auch Zürich sind als Schiedsorte beliebt. Jedoch sehen viele meist mittelständische Unternehmen davon ab, für allfällige Streitigkeiten vertraglich ein Schiedsverfahren vorzusehen. Sie scheuen die stark eingeschränkte Rechtsmittelmöglichkeit, vergleichsweise hohe Kosten, die Notwendigkeit der Wahl der Schiedsrichter aber auch ausgedehnte Beweisverfahren. Dabei sprechen die vorzüglichen Rahmenbedingungen des hiesigen Standorts durchaus für die Wahl eines Gerichtsstands in der Schweiz. Denn hier finden sich institutionelle Stabilität, Neutralität, juristisches Know-how und Erfahrung im Umgang mit internationalen Klienten.
Die unlängst angenommene Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) ermöglicht es Schweizer Unternehmen mit internationalen Handelsbeziehungen, die guten Rahmenbedingungen des schweizerischen Standorts auch für Verfahren vor staatlichen Gerichten zu nutzen. Das entsprechende Projekt eines internationalen Handelsgerichts, des sogenannten "Zurich International Commercial Court", wird vom Zürcher Regierungsrat und von der Richterschaft am Zürcher Handelsgericht unterstützt.
Revision schafft Flexibilität
Die ZPO-Revision, welche dieses Regelwerk der Praxis anpasst, soll nach unbenutztem Ablauf der Referendumsfrist auf den 1. Januar 2025 in Kraft treten. Sie schafft die nötigen gesetzlichen Grundlagen für die Einführung von international ausgerichteten, staatlichen Handelsgerichten. Bereits bisher konnten die Kantone Handelsgerichte errichten. In Zürich, St. Gallen, Bern und im Aargau bestehen solche Handelsgerichte seit vielen Jahren. Die Kantone erhalten neu die Kompetenz, das kantonale Handelsgericht in weiteren Fällen für zuständig zu erklären. Die Voraussetzungen dafür sind ein Streitwert von über CHF 100'000, mindestens eine Partei muss im Ausland ansässig sein, die geschäftliche Tätigkeit einer Partei betroffen sein, und es braucht die Zustimmung der Parteien zur Zuständigkeit des Handelsgerichts. Das Handelsgericht darf seine Zuständigkeit dann auch nicht ablehnen.
Zusätzlich attraktiv werden solche internationale Zivilverfahren durch die Aussicht, die Verfahren auf Englisch zu führen, was mit der ZPO-Revision ebenfalls ermöglicht wird. Ebenso kann das Urteil selbst in englischer Sprache abgefasst werden. Bereits jetzt wird es an vielen Gerichten als zulässig erachtet, Beilagen zu gerichtlichen Eingaben, wie etwa englische Verträge oder Korrespondenz unter den Parteien dem Gericht ohne Übersetzung einzureichen, soweit eine Übersetzung für den Bedarfsfall angeboten wird. Dies zeigt die Vertrautheit der Gerichte und Parteien im Umgang mit der englischen Sprache.
Darüber hinaus besteht für Parteien eines solchen internationalen Streits neu die Gelegenheit, eine Beschwerde an das Bundesgerichts in englischer Sprache zu erheben, was für Beschwerden gegen Schiedsentscheide bereits seit kurzem zulässig ist. Einzig das Urteil des Bundesgerichts in Lausanne ergeht weiterhin in einer Amtssprache.
Die Schweiz steht mit diesen Bestrebungen keineswegs allein. So haben etwa Singapur, Dubai, Amsterdam, Paris und London staatliche Gerichte formiert, die auf die Erledigung von internationalen Handelsstreitigkeiten spezialisiert sind. Die Schweiz mit ihrer soliden Reputation und Erfahrung scheint prädestiniert, eine ähnlich führende Rolle einzunehmen.
Im Kanton Zürich verfügen Streitparteien von Handelsstreitigkeiten mit dem Zürcher Handelsgericht über ein effizientes und professionell dotiertes Fachgericht. Die Fachrichter stammen aus den verschiedensten Berufsfeldern in Produktion, Dienstleistung und Handel. Sie können daher auch branchenspezifische Aspekte bei der Erledigung von Streitigkeiten angemessen berücksichtigen.
Schneller zum Urteil
Gemäss dem Rechenschaftsbericht des Obergerichts Zürich für das Jahr 2022, dem das Handelsgericht organisatorisch angegliedert ist, werden gut 72 Prozent aller dort hängigen Prozesse binnen weniger als einem Jahr erledigt. Gut die Hälfte der Fälle, nämlich 54 Prozent, sogar innerhalb von sechs Monaten. Hinzu kommt, dass bei Weiterzug eines Handelsgerichtsurteils ans Bundesgericht diese Beschwerdeverfahren vergleichsweise schnell entschieden werden: Gemäss dem Rechenschaftsbericht des Bundesgerichts für das Jahr 2022 wurden fast 90 Prozent aller Fälle innerhalb eines Jahres entschieden, 73 Prozent sogar innerhalb eines halben Jahres.
Für Gesellschaften mit Sitz in Zürich war das Handelsgericht bereits bisher zuständig für gerichtliche Auseinandersetzungen. Indem Verfahren in englischer Sprache geführt werden können, erweitert sich der Handlungsspielraum massgeblich. Insbesondere können in- und ausländische Parteien mit einer entsprechenden Wahl des Gerichts in ihren vertraglichen Vereinbarungen Einfluss darauf nehmen, in welcher Sprache das Verfahren abgewickelt werden soll. Die Attraktivität des Justizplatzes Zürich wird damit weiter gesteigert.