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Thema: Insolvency & Restructuring
Zeitung: NZZ
12.05.2022

Liquiditätsprobleme wegen Corona-Krediten?

Die Rückzahlung von fälligen Corona-Krediten kann Unternehmen in existenzielle Bedrängnis bringen. In der NZZ-Ausgabe vom 12. Mai 2022 besprechen Daniel Hayek und Mark Meili die Problematik von Liquiditätsengpässen und den Zusammenhang zum neuen Sanierungsrecht. Insbesondere wird gezeigt, wie eine Haftung der verantwortlichen Organe vermieden werden kann.

Obwohl die staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Schweiz relativ mild ausgefallen sind, hatten diese erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft. Das Schweizer Bruttoinlandprodukt verzeichnete im Jahr 2020 den grössten Rückgang seit 1975. Es musste deshalb mit einem entsprechenden Anstieg von Konkursverfahren gerechnet werden. Entgegen der allgemeinen Erwartung ging deren Gesamtzahl im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr aber sogar um 6.6 Prozent zurück. Der anschliessende Anstieg im Jahr 2021 war weniger stark als befürchtet. Zumindest vorläufig blieb trotz Corona-Pandemie eine grosse Konkurswelle aus. Die Abweichung hat als "COVID-19-bankruptcy gap" bereits einen eigenen Namen.

Zurückzuführen ist diese «Konkurslücke» insbesondere auf die vom Bund ergriffenen Unterstützungsmassnahmen zum Schutz der Wirtschaft, viele Unternehmen wurden unbürokratisch mit Liquidität versorgt. Vorteilhaft war zudem, dass Härtefall-Kredite und COVID-19-Kredite in der Höhe von bis zu 500'000 Franken für die konkursrechtlichen Anzeigepflichten nicht als Fremdkapital berücksichtigt werden müssen. Ursprünglich sollte diese Ausnahmeregelung nur bis zum 31. März 2022 gelten, diese Frist wurde nun aber für die ganze Laufzeit der COVID-19-Kredite bis zum 30. September 2027 erstreckt. Für COVID-19-Kredite Plus, das sind Darlehen zwischen 500'000 und 20 Millionen Franken, gilt diese Verlängerung nicht, da sie nicht allein vom Bund verbürgt sind.

Jetzt wird die Rückzahlung fällig

Seit März 2022 sind die COVID-19-Kredite zur Rückzahlung fällig. Das stellt für eine Vielzahl von Unternehmen eine erhebliche Herausforderung hinsichtlich ihrer Liquidität dar. Muss nun aufgrund der Rückzahlungspflicht mit einem Anstieg der Konkurse gerechnet werden? Diese Frage betrifft zuerst die leitenden Organe von Kapitalgesellschaften. Unter geltendem Recht unterliegen sie besonderen Pflichten, sobald sich im Unternehmen finanzielle Schwierigkeiten abzeichnen.

Die Organe müssen die finanzielle Situation fortlaufend überwachen. Gesetzliche Handlungspflichten zur Ergreifung von Massnahmen bestehen beim sogenannten Kapitalverlust und bei begründetem Verdacht einer Überschuldung. Während im ersten Fall Sanierungsmassnahmen ergriffen werden müssen, muss im zweiten Fall grundsätzlich die Bilanz deponiert werden. In der Folge entscheidet das Gericht über die Eröffnung des Konkurses. Da es sich beim Kapitalverlust und der Überschuldung lediglich um bilanzbezogene Warnindikatoren handelt, können daraus grundsätzlich keine Aussagen zur Liquidität der Gesellschaft abgeleitet werden. Bemerkenswert: Bei reinen Liquiditätsengpässen, welche in der aktuellen Situation den Grossteil der Fälle ausmachen dürften, sieht das Gesetz keine Handlungspflichten vor.

Neue Handlungspflichten

Bereits seit langem wird postuliert, dass die Kriterien der Überschuldung und des Kapitalverlusts nicht zweckmässig sind, da die Unternehmen dann bereits in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten stecken und Massnahmen oft zu spät erfolgen. In der Praxis enden entsprechende Sanierungen auch meist in Konkursverfahren.

Deshalb hat das Parlament im Rahmen der grossen Aktienrechtsrevision, welche voraussichtlich Anfang 2023 in Kraft treten wird, die Bestimmungen zur Unternehmenssanierung überarbeitet. Die verantwortlichen Organe sollen neu bereits bei mangelnder Liquidität der Gesellschaft verpflichtet sein, Massnahmen zu ergreifen. Der Verwaltungsrat wird explizit angewiesen, die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens fortlaufend zu überwachen. Er muss nun einen Liquiditätsplan erstellen, ein Alarmsystem für den Fall einer sich anbahnenden finanzielle Krise. Droht das Unternehmen zahlungsunfähig zu werden, sprich, es kann seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht mehr erfüllen, so muss der Verwaltungsrat neu bereits selbst Massnahmen zur Stärkung der Liquidität der Gesellschaft ergreifen.

Der Verwaltungsrat soll zuerst kurzfristige und einfache Massnahmen, wie die Aufnahme eines Darlehens, ergreifen. Sind weitere Interventionen nötig, müssen nachhaltige Entscheidungen getroffen werden. In Frage kommen in diesem Fall die Durchführung einer Kapitalerhöhung oder allenfalls der Abschluss eines gerichtlich genehmigten Vergleichs bzw. Nachlassvertrages mit den Gläubigern der Gesellschaft.

Nur acht Monate Galgenfrist

Was bedeutet dies nun für die Rückzahlung der COVID-19-Kredite? Sie kann für Unternehmen zu Liquiditätsproblemen führen, welche für sich allein Stand heute keine Handlungspflichten auslösen. Werden diese aber vom Verwaltungsrat vorläufig ignoriert, droht spätestens Anfang 2023, wenn das neue Sanierungsrecht in Kraft tritt, ein böses Erwachen. Unternehmen mit Liquiditätsproblemen trifft dann unmittelbar eine Pflicht zur Ergreifung der erwähnten Massnahmen. Ist es für eine Sanierung bereits zu spät und kann ein Konkurs nicht mehr abgewendet werden, stellen sich für den Verwaltungsrat heikle Haftungsfragen. Unternehmen und Verwaltungsräte sollten deshalb bei potentiellen Liquiditätsengpässen bereits heute aktiv werden, insbesondere einen Liquiditätsplan erstellen, und nicht erst das Inkrafttreten des neuen Aktienrechts abwarten. Werden diese Kontrollinstrumente bereits dieses Jahr implementiert, kann eine Haftung vermieden werden und es besteht die Hoffnung, dass eine Konkurswelle trotz Rückzahlung der COVID-19-Kredite verhindert werden kann.