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Thema: Dispute Resolution
Zeitung: NZZ
Lesezeit: 5 Min
06.06.2023

Für international tätige Unternehmen wird die Fortführung des Russlandgeschäfts zum Drahtseilakt

Die drastischen Sanktionen der Schweiz bedeuten einen erheblichen Mehraufwand, vor allem im Bereich Compliance

Als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 weitete die Europäische Union ihre Sanktionen gegenüber Russland deutlich aus. Sie bestehen im Kern bereits seit der Annexion der Krim im Jahre 2014. Nach anfänglichem Zögern beschloss der Bundesrat, die EU-Sanktionen weitgehend zu übernehmen und das Schweizer Sanktionsregime fortlaufend anzugleichen. Mittlerweile hat die Schweiz ein breites Spektrum an Sanktionsmassnahmen gegen russische Personen und Unternehmen erlassen. Neben Vermögenssperren, Reiseverboten und Visabeschränkungen umfasst es auch weitreichende Handelsbeschränkungen für verschiedene Wirtschaftssektoren sowie Beschränkungen von Aktivitäten im Finanzsektor. Noch nie zuvor hat die Schweiz gegen eine Nation derart drastische Sanktionen erlassen.

Die Übernahme der Sanktionen der EU durch die Schweiz ist kein Automatismus. Dennoch hat der Bundesrat die meisten Sanktionsmassnahmen mit etwas zeitlichem Abstand übernommen, darunter auch das 10. Sanktionspaket der EU. Seit ihrem Erlass am 4. März 2022 wurde die Verordnung durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) bereits über dreissig Mal angepasst. Oft setzt der Bundesrat den revidierten Verordnungstext schon wenige Stunden nach der Ankündigung eines weiteren Sanktionspakets in Kraft.

Absichtliche Differenzen

Betroffene Unternehmen müssen ihre Compliance-Strategien daher pausenlos auf ihre Vereinbarkeit mit den Schweizer Sanktionsmassnahmen prüfen. Nicht selten müssen sie sich innert kürzester Zeit einen Überblick über die neu geltenden Sanktionen und die Tragweite allfälliger Übergangsbestimmungen verschaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die revidierte Verordnung manchmal zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens online noch gar nicht publiziert ist. Gerade für KMU, die in der Regel nicht über spezialisierte Compliance-Abteilungen verfügen, führt dies zu einem erheblichen Mehraufwand.

Die meisten Abweichungen zu den Sanktionsbestimmungen der EU sind beabsichtigt und sachgerecht. Bisweilen treten allerdings auch Ungereimtheiten auf. Illustrieren lässt sich dies anhand einer – inzwischen bereinigten – Diskrepanz beim sogenannten Dienstleistungsverbot. Zu spüren bekam das ein Unternehmen in der Schweiz, das vollständig von einem US-Konzern beherrscht wird: Während die Schweizer Sanktionen nicht zulassen, dass aus der Schweiz heraus verschiedene Dienstleistungen wie Wirtschaftsprüfung, Rechts- und IT-Beratung an russische Unternehmen erbracht werden, sind solche Dienstleistungen nach dem Sanktionsrecht der EU seit längerem wieder zulässig.

Dies dann, wenn es sich beim russischen Unternehmen namentlich um eine Tochtergesellschaft eines in der EU, in der Schweiz oder in einem sogenannten Partnerstaat wie beispielsweise in den USA, in Japan oder Südkorea niedergelassenen Unternehmens handelt. Konzernintern können Dienstleistungen in solchen Fällen auch an eine russische Tochtergesellschaft erbracht werden.

Die Schweiz hingegen sah während mehrerer Monate keine entsprechende Ausnahme für solche Partnerstaaten vor. Gemäss Schweizer Sanktionsrecht galten Ausnahmen nur für Konzerne mit Sitz in der Schweiz, in einem EWR-Land oder im Vereinigten Königreich. Für Schweizer Zwischenholdings einer Muttergesellschaft aus den USA oder eines anderen Partnerstaates bedeutete das, dass via die Schweiz erbrachte Dienstleistungen an russische Tochtergesellschaften eine Zeitlang gegen die Sanktionen verstiessen. Diese Ungereimtheit wurde mit der Einführung des 10. Sanktionspakets per Ende März 2023 beseitigt. Die Ausnahme wurde ausdrücklich auf in Partnerstaaten niedergelassene Unternehmen ausgedehnt. Allerdings ist die Änderung lediglich im deutsch- und italienischsprachigen Verordnungstext enthalten; der Wortlaut der französischen Fassung ist bis Mai noch nicht angepasst worden. Das vom SECO zur Verfügung gestellte Q&A bestätigt aber die vorgenommene Anpassung.

Compliance-Prüfung erforderlich

Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu Russland sind also gut beraten, durch eine umfassende Compliance-Prüfung zu ermitteln, welche Unternehmensbereiche von Sanktionsmassnahmen betroffen sein könnten. Manchmal müssen auch potenzielle Geschäftspartner auf mögliche personenbezogene Sanktionen überprüft werden. Für betroffene Unternehmen bedeutet das einen erheblichen unternehmensinternen Mehraufwand, da solche Sanktionen nicht nur offensichtliche Sanktionsadressaten wie etwa Gazprom oder Rosneft betreffen. Erfasst sein können nämlich auch Geschäftspartner, die selbst nicht in den einschlägigen Anhängen gelistet sind, deren Unternehmen aber von einer sanktionierten Person beherrscht werden. Bei mehrschichtigen Holdingstrukturen müssen die Compliance-Verantwortlichen die gesamte Kette bis zur wirtschaftlich berechtigten Person eruieren, um die eigentlichen Kontrollinhaber zuverlässig identifizieren zu können. Besonders schwierig und für die Geschäftsbeziehung belastend ist dies vor allem dann, wenn die einzig verfügbare Informationsquelle der Geschäftspartner selbst ist.

Für die Unternehmen bedeutet das: Solange der Ukrainekonflikt andauert, müssen sie mit weiteren Sanktionspaketen der EU und der Schweiz rechnen und ihre Compliance-Abteilung zu erhöhter Sensibilität und Sorgfalt anhalten.