Internationale Wirtschaftskriminalität – Schweiz
Marcel Frey beleuchtet die jüngsten Entwicklungen und Herausforderungen für Rechtsvertreter im Bereich des Schweizer Wirtschaftsstrafrechts und beantwortet Fragen zu Wirtschaftskriminalität und möglichen Reformen des Strafverfahrens.
Global Law Experts Practice Area Guide - Business Crime & Fraud Q&A
Bitte fassen Sie die Arbeit Ihrer Kanzlei zusammen und die Art und Weise, wie Sie sich bei der Rechtsberatung in den Bereichen Wirtschaftskriminalität und Betrug unterscheiden
Bei Prager Dreifuss arbeiten wir an vorderster Front an neuen Entwicklungen, die auf unserer umfassenden Erfahrung in internen Untersuchungen und der Unterstützung von Parteien bei der Durchsetzung ihrer straf- und zivilrechtlichen Ansprüchen in Strafverfahren beruhen. Unsere Arbeit erstreckt sich auf Betrugsuntersuchungen im Versicherungs-, Banken- und Bergbausektor. Wir werden häufig von Unternehmen beauftragt, wenn der Verdacht auf Fehlverhalten aufkommt. Auch Aufsichtsbehörden mandatieren uns regelmässig mit der Durchführung von Untersuchungen und der Erstellung von Berichten.
Wie sieht Ihre derzeitige Mandatsarbeit aus - und auf welche aktuellen wirtschaftskriminellen Themen werden Sie von Ihren Mandanten aufmerksam gemacht?
Derzeit sind wir in einigen hochkarätigen Wirtschaftskriminalitätsfällen involviert, die regelmässig auch internationale Aspekte beinhalten. Darüber hinaus beobachten wir eine Zunahme von Anfragen im Zusammenhang mit der Überwachung und dem Management von Risiken im Bereich der Sanktionen sowie mit der Gefahr der Sanktionsumgehung und der Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden gegen Unternehmen, welche Sanktionen auf die leichte Schulter nehmen.
Geldwäschebekämpfung und «Know Your Client»-Compliance sowie steigende Anforderungen beim Kunden-Onboarding sind neben der Verhinderung von Terrorismusfinanzierung Themen, mit denen sich die Klienten in immer stärkerem Masse auseinandersetzen müssen. Selbst in kleineren Unternehmen mit begrenztem internationalem Engagement werden diese Compliance-Hürden mit den damit verbundenen strafrechtlichen Risiken zu einer regelmässigen Herausforderung für Klienten.
Mit welchen beruflichen Herausforderungen waren Sie in den letzten 12 Monaten konfrontiert - wie z.B. globale Krisen oder Konflikte - und wie haben Sie sich darauf eingestellt?
Mit der Übernahme der Sanktionen der Europäischen Union gegen die Russische Föderation durch die Schweiz sahen sich unsere Klienten plötzlich mit grossen Compliance-Risiken ganz neuer Art und Dimensionen konfrontiert. Von der Kundenidentifikation über die Produktfreigabe bis hin zu Massnahmen zur Verhinderung von Sanktionsumgehung – der Krieg in der Ukraine hat einige unserer Klienten vor grosse Herausforderungen gestellt und tut dies auch weiterhin.
Was sind die wichtigsten Trends der letzten Zeit bei der Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität?
Im Zuge der jüngsten Rechtsprechung der Schweizer Gerichte, die Transparenz in Bezug auf Retrozessionen im Finanzsektor fordert, hat das Bundesgericht in einigen Fällen entschieden, dass geschädigte Personen und Unternehmen die ihnen geschuldeten, nicht offengelegten Provisionen zurückfordern können. Provisionen in Auftrags- oder Arbeitsverhältnissen, über welche nicht Rechenschaft abgelegt wurde, werden von der Geschäftsleitung, aber auch von staatlichen Ermittlern verstärkt unter die Lupe genommen. Die Entwicklung dieser Rechtsprechung begann im Rahmen von privatrechtlichen Verfahren, hat aber schnell an Dynamik gewonnen und wurde auf andere Rechtsgebiete (Verwaltungsrecht, Strafrecht) ausgedehnt.
In der Schweiz ist ein weiterer Schwerpunkt für Privatkläger das starke Bestreben, während der Untersuchungsphase Vermögenswerte aufzudecken und sichern zu lassen. Während des anschliessenden Gerichtsverfahrens sind Privatkläger bemüht, die Papierspur vom ursprünglichen Erlös aus der Straftat bis zum beschlagnahmten Vermögenswert nachzuweisen. Auf diese Weise können die Kläger - im Falle einer Verurteilung - von einer direkten Restitution durch das Strafgericht profitieren. In einer solchen Ausgangslage hat die strafrechtlich festgestellte Forderung des Antragstellers Vorrang vor anderen Gläubigern.
In Ermangelung eines eindeutigen Paper-Trails können beschlagnahmten Vermögenswerte dennoch für die Parteikosten der Kläger und für die Befriedigung der Ersatzforderung des Staates verwendet werden, die dem Privatkläger für seinen Schaden zugewiesen werden kann.
Wenn Sie eine Reform der Gesetzgebung zur Verteidigung gegen Wirtschaftskriminalität in Ihrem Land durchführen könnten, wie würde diese aussehen?
In der Schweiz, wie auch in anderen Ländern, gibt es einen starken Anstieg der Auslastung von Staatsanwälten und Gerichten mit Straffällen. Vor allem im Wirtschaftssektor sind die Unternehmen mit immer mehr gesetzlichen Vorschriften und Compliance-Regeln konfrontiert. Das Vorhandensein solcher Vorschriften führt unweigerlich zu Durchsetzungsmassnahmen der Aufsichtsbehörden und immer häufiger zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Diese Verfahren sind regelmässig komplex, grenzüberschreitend und zeitaufwändig. Hinzu kommt die Praxis der Beschuldigten, eine weitreichende Siegelung von Dokumenten und Daten zu verlangen, und die langwierigen Entsiegelungsverfahren vor Gericht. All dies führt zu längeren Ermittlungen, längeren Prozessen und heiklen Begleitumständen wie übermässig lang andauernde Vermögensbeschlagnahmungen.
Die lange Dauer der Verfahren wirkt sich für alle Beteiligten negativ aus. Staatsanwälte und Gerichte sehen sich der Kritik ausgesetzt und werden beschuldigt, die Justiz zu verzögern. Die Beschuldigten müssen lange Zeiten der Ungewissheit ertragen und den psychischen Druck der Strafverfolgung und des Verfahrens aushalten. Die Gerichte berücksichtigen bei ihrer Urteilsfindung diese langen Verfahrensdauern strafmindernd. Dies könnte die Autorität der Staatsanwaltschaft untergraben, das staatliche Strafmonopol durchzusetzen. Im Extremfall können bestimmte Straftaten aufgrund der Verjährungsfristen nicht mehr verfolgt werden, was wiederum zu öffentlicher Kritik und Desillusionierung gegenüber dem Strafrechtssystem führt.
Es gibt Bestrebungen, die Situation zu entschärfen, z. B. durch die Begrenzung der Fristen, die den Parteien während des Prozesses zur Verfügung stehen (und gewährt werden), und durch die Forderung nach mehr mündlichen Verhandlungen. Eine jüngste Revision der Strafprozessordnung, die sich mit der Siegelung befasst, zielt darauf ab, die Verlängerung und Verteidigung der Siegelung von Dokumenten und Daten eines Beschuldigten zu erschweren. Die neuen Bestimmungen sehen kürzere Fristen vor und dass Siegelungsanträge nach bestimmten Zeiträumen der Untätigkeit als zurückgezogen gelten. Ob tatsächlich eine Beschleunigung erreicht wird, ist jedoch fraglich, da der Kreis der Parteien, die Siegelungsanträge stellen und sich gegen Entsiegelungsanträge der Staatsanwaltschaft wehren können, erweitert wurde.
Eine weitere Massnahme, die in der Rechtspraxis stark befürwortet wird, ist die Einführung von aussergerichtlichen Lösungen, wie z.B. Vereinbarungen über einen Aufschub der Strafverfolgung. Bislang gibt es in der Schweiz kein vergleichbares Instrument, das es Unternehmen ermöglichen würde, vergangene Verfehlungen finanziell wiedergutzumachen, ohne strafrechtlich verurteilt zu werden. Die Befürworter der aussergerichtlichen Einigung sehen in diesem Instrument das Potenzial, das ansonsten langwierige Strafverfahren für Unternehmen zu vereinfachen.
Wie hat sich die Digitalisierung auf die Ermittlungen ausgewirkt?
Wir stellen fest, dass sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Parteivertreter digitale Instrumente zur Unterstützung ihres Fallmanagements nutzen und Terabytes von Daten durchforsten. Die schiere Menge an Material, die heutzutage zur Verfügung steht (insbesondere bei Betrug und anderen Finanzdelikten), stellt jedoch immer noch eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten dar, da die endgültige Analyse und Entscheidungsfindung trotz der verfügbaren digitalen Werkzeuge immer noch bei den beteiligten Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Richtern liegt.
Wie stellen Sie eine fundierte Beratung für Klienten sicher, die in anderen Rechtsordnungen ansässig sind oder im Ausland tätig sind?
Wir sind eine Schweizer Anwaltskanzlei mit Büros in Zürich, Bern und Brüssel, Belgien. Darüber hinaus pflegen wir ein starkes Netzwerk mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Jurisdiktionen, mit denen wir im stetigen Kontakt stehen.
Wir tauschen uns regelmässig mit unseren Mandanten und wichtigen Partnern im Ausland aus, da sich die Rechtslandschaft in der Schweiz ständig weiterentwickelt. Wir halten unsere Mandanten mit Zeitungsartikeln, Newslettern und Beiträgen auf unserer Homepage und über unsere LinkedIn-Plattform auf dem Laufenden. Gelegentlich partizipieren wir an internen Programmen und teilen Erkenntnisse und neue Entwicklungen mit internen Rechtsteams. Inzwischen finden auch immer häufiger digitale Meetings statt, in denen wir über aktuelle Entwicklungen berichten.